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Politik: Am Limit

Immer mehr Patienten wehren sich gegen Lebensverlängerung um jeden Preis – dadurch kommen sie als Organspender häufig nicht infrage.

Berlin - Sie haben wissen wollen, was überhaupt möglich ist in Sachen Organspende. Wie viel „Potenzial“ es dafür in deutschen Kliniken gibt, und wer oder was schuld ist an dem vergleichsweise geringen Spendenaufkommen. Seit kurzem liegt der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) die Antwort vor – allerdings nur vertraulich, weil sie den Auftraggebern nicht gefällt.

Die Zahl möglicher Spender nämlich ist dem Befund zufolge wesentlich niedriger als bislang angenommen. Und ursächlich für die geringe Quote sind weniger organisatorische Defizite in den Kliniken als der Widerstand von Angehörigen, die zunehmende Bedeutung der Palliativmedizin und die hohe Zahl von Patientenverfügungen. Immer mehr Patienten wehren sich gegen Intensivstation und Lebensverlängerung um jeden Preis. Dadurch kommen sie für eine Transplantation, die auf bestmöglich erhaltene Organe angewiesen ist, gar nicht infrage.

Den Auftrag für das Gutachten hat das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) Ende 2009 erhalten – also vor der aktuellen Debatte um eine Reform des Transplantationsgesetzes. Doch das Problem stagnierender Spenderzahlen trieb die DSO schon damals um. Mit seinem Spenderaufkommen liegt Deutschland europaweit seit längerem im unteren Mittelfeld. Inzwischen ist die Zahl sogar nochmals gesunken. In den ersten elf Monaten dieses Jahres wurden bundesweit lediglich 1104 Organspender registriert. Das sind 6,6 Prozent weniger als 2010 – und es ist der Minusrekord seit Beginn der Monatszählung im Jahr 2005. Rund 12 000 Patienten stehen hierzulande derzeit auf der Warteliste für eine Transplantation. Und jährlich sterben etwa 1000 davon, weil es nicht genug Spender gibt.

Die Politik will dem Dilemma mit Transplantationsbeauftragten in den Kliniken und einer Befragung aller Bürger nach ihrer Spendenbereitschaft begegnen. Doch glaubt man den Forschern vom DKI, dann macht das Ganze wenig Sinn. Das „zusätzliche mögliche Spenderpotenzial“ liege allenfalls bei rund 30 Prozent und vor allem bei den über 75-Jährigen, heißt es in dem „vertraulichen Zwischenbericht“ von DKI-Forschungschef Karl Blum, der dem Tagesspiegel vorliegt und der die Erfahrungen von 112 deutschen Krankenhäusern berücksichtigt. Bei vielen dieser „möglichen Spender“ jedoch seien aber die medizinischen oder rechtlichen Voraussetzungen zur Organentnahme gar nicht gegeben. Und: „Selbst eine – realistischerweise nicht zu erwartende – Ausschöpfung dieses Potenzials“ könne den Organmangel in Deutschland nicht beheben.

Es habe sich „eindeutig“ erwiesen, dass die unterdurchschnittlichen Spenderraten „nicht auf unzureichende Meldungen potenzieller Spender durch die Krankenhäuser zurückzuführen sind“, bilanziert der Gutachter. Eine Ursache sei vielmehr in der auffällig häufigen „Therapielimitierung“ zu finden. Die „fehlende Zustimmung zu bestimmten intensivtherapeutischen Maßnahmen“ auch bei Patienten mit schwerer Hirnschädigung bilde „einen wesentlichen Grund dafür, dass es zu keiner Abklärung oder Durchführung einer Organspende kam“, heißt es in dem Zwischenbericht. Oft würden Patienten „gar nicht erst von der Normalstation auf die Intensivstation verlegt“, weil das Personal einem palliativmedizinischen Vorgehen in Abstimmung mit Patient und Angehörigen von vornherein den Vorzug gebe.

Die Studie habe ergeben, dass eine intensivmedizinische Behandlung bei potenziellen Spendern „in vielen Fällen nicht eingeleitet“ werde, bestätigte DSO- Vorstand Günter Kirste dem Tagesspiegel auf Anfrage. Ob das stets zum Wohle der Patienten sei, lasse er dahingestellt. Es sei aber „erstaunlich, wie oft die Kliniken inzwischen mit dem Thema Patientenverfügung konfrontiert“ seien.

Fast alle dieser Patientenverfügungen stünden „im Widerspruch zur Organspende“, behauptet der Chef der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. „Behandlungsbegrenzung und Transplantation schließen sich gegenseitig aus.“ Und je mehr Menschen sich für eine Therapiebegrenzung entschieden, desto weniger Organspender werde es geben.

Kirste ärgert sich über solche Darstellungen und bezeichnet sie als „Unfug“. Man könne schließlich sehr wohl für den Fall einer Krebserkrankung eine Patientenverfügung unterzeichnen, die lebensverlängernde Intensivmaßnahmen ausschließt, und bei Unfall oder akutem Schlaganfall dennoch als Organspender zur Verfügung stehen. Allerdings wäre dafür eine differenzierte Patientenverfügung erforderlich. Und weit mehr Aufklärung potenzieller Organspender als bisher – mit dem Risiko, dass sich dies womöglich dann auch kontraproduktiv auf die Spenderzahlen auswirken könnte.

Verschweigen sei trotzdem keine Lösung, findet Brysch. Jeder müsse wissen: „Wer sich zur Organspende bereiterklärt, erhält zwangsläufig intensivmedizinische Behandlung. Diese Patienten werden beatmet, ernährt und medikamentös stabilisiert, um die Organe entnehmen zu können.“ Für emotionale Werbekampagnen zur Organspende seien in den vergangenen zehn Jahren 100 Millionen Euro ausgegeben worden. Doch um den Menschen die Angst zu nehmen, müsse man an den Verstand appellieren. „Fakten statt Mitleid muss die Devise lauten, sonst werden Misstrauen und Verweigerung nicht beendet.“

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